Nr. 110/2019

Die Verwaltungswissenschaftler PROFESSOR DR. GEERT E. C. BOUCKAERT (rechts im Bild) von der Katholieke Universiteit Leuven in Belgien und PROFESSOR (EM.) DR. WERNER JANN vom Potsdam Centrum für Politik und Public Management (PCPM) der Uni­ versität Potsdam leiten gemein- sam das Projekt „European Perspectives for Public Admini­ stration“ am PCPM. Es wird aus Mitteln des Anneliese Maier-Forschungspreises der Alexan- der von Humboldt-Stiftung finanziert, mit dem Bouckaert 2014 ausgezeichnet wurde. In dem Projekt geht es darum, eine gemeinsame europäische Pers- pektive auf den Prozess des ständigen Wandels der öffen­ tlichen Verwaltungen Europas und seine Vermittlung in For- schung und Lehre zu entwickeln. berechtigt, aber sie ist oft sehr stereotyp und entspricht nicht mehr der Wirklichkeit. Warum? BOUCKAERT: Überall in der Welt, und übri- gens auch in Deutschland, gibt es mindestens seit Mitte der 1990er-Jahre einen erheblichen Modernisierungsschub, etwa durch die Ein- führung moderner Managementmethoden, durch das so genannte E-Government sowie neue Angebote wie Kundenzentren. Empiri- sche Untersuchungen zeigen immer wieder, dass direkte Kontakte zwischen Bürgern bezie- hungsweise Unternehmen und Verwaltung in den weitaus meisten Fällen unproblematisch ablaufen. Das Stereotyp des unfreundlichen, langsamen und inflexiblen Verwaltungsmit­ arbeiters ist jedoch schwer auszurotten. Woher kommt dann der Eindruck, einer bürokratischen, aufgeblasenen Verwaltung? JANN: Erst einmal gibt es in Deutschland keine ernsthaften Hinweise auf eine „aufge- blasene“ Verwaltung. Wenn man sich öffent- lich Beschäftigte als Anteil aller Beschäftig- ten anschaut, liegen wir unterhalb des OECD- Durchschnitts. Dies bedeutet nicht, dass es nicht gelegentlich mit weniger Personal ginge. Aber die Forderungen in der Öffentlichkeit gehen ja genau in die andere Richtung. Man fordert mehr Polizei, mehr Lehrer, mehr Rich- ter – das ist alles öffentlicher Dienst, von dem gleichzeitig behauptet wird, er sei aufgebläht. Die deutsche Diskussion ist ehrlich gesagt gelegentlich etwas schizophren. Also muss sich die Verwaltung gar nicht ändern, sondern braucht nur mehr Personal? BOUCKAERT: Natürlich muss auch die Ver- waltung kontinuierlich modernisiert werden – wie jede andere Organisation, die überleben will, auch. Aber gleichzeitig dürfen die Er­ rungenschaften der klassischen Bürokratie MaxWebers, also Berechenbarkeit, Fairness, Rechtssicherheit etc. nicht über Bord ge- worfen werden. Für diese Verschränkung und gemeinsame Entwicklung, die wir in vielen europäischen Ländern beobachten können, haben wir den Begriff „Neo-Weberianischer“ Staat geprägt. Er fasst den Konsens der mo- dernen Verwaltungswissenschaft am besten zusammen. Vor allem US-Amerikaner stören sich in unserer Befragung am deutschen System. Unterscheidet sich die US-Bürokratie wirk- lich so sehr von der europäischen? JANN: Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass die deutsche Bürokratie schlimmer ist als die amerikanische. Ich habe zwei Jahre in den USA gelebt und bin an verschiedenen Facet- ten der amerikanischen Bürokratie schier ver- zweifelt. Das fängt an mit den Problemen, ein Bankkonto zu eröffnen, und setzt sich mit der Einwanderungsbehörde und den Visavor- schriften fort. Gegenüber dem IRS (Internal Revenue Service), der amerikanischen Steuer- behörde, sind deutsche Finanzämter geradezu ein Ausbund von Kooperation und Freund- lichkeit. Das Problem scheint mir zu sein, dass man seine eigene Bürokratie und ihre Macken kennt, aber die fremde dann noch einmal viel unzugänglicher erscheint. BOUCKAERT: Ich kann das nur bestätigen. Sich mit der amerikanischen Bürokratie anzu- legen, ist kein Zuckerschlecken. Die deutsche Bürokratie kenne ich seit vielen Jahren. Ja, sie hat ihre Macken, aber letztendlich kann man sich auf sie verlassen. Foto: Universität Potsdam/Karla Fritze Ich habe zwei Jahre in den USA gelebt und bin an der amerikanischen Bürokratie schier verzweifelt.“ „ 29 HUMBOLDT KOSMOS 110/2019

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=