Nr. 113/2021

31 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 derungen des Lebens in der Station ähneln denen einer Langzeitmission imAll. „ImUmkreis von mehreren hun- dert Kilometern von Concordia gibt es keine andere Men- schenseele, wächst kein einziges Pflänzchen“, sagt Verseux. „Im Winter, wenn es monatelang nicht hell wird, herr- schen draußen bis unter minus 80 Grad Celsius bei eisi- gem Wind, man hockt wochenlang mit einem Dutzend Menschen auf engstem Raum. Es fühlt sich tatsächlich an wie auf einem anderen Planeten.“ Diese Mission brachte Verseux auch in Sachen Psycho­ hygiene weitere Erkenntnisse: „In der Isolation ist es in der Tat wichtig, gut zu planen – auch Zeiten für Entspan- nung, damit die nicht zu kurz kommt. In diesen Phasen habe ich gelesen, an meinem Buch über das Experiment geschrieben und ein neues Instrument gelernt: Ukulele.“ Ob er seine Erfahrungen einmal im Ernstfall anwenden können wird? Schafft die NASA es, tatsächlich wie geplant zumMars aufzubrechen, wird Verseux Ende 40 sein – im besten Alter für Astronaut*innen. Und jemand aus der Astrobiologie wird sicherlich zur Crew gehören. Würde er mitfliegen? „Auf jeden Fall!“ antwortet Verseux ohne Zögern. Hat er keine Angst? Schließlich wird die Reise wohl zweieinhalb Jahre dauern: ein halbes Jahr hin, ein- einhalb Jahre Aufenthalt auf einem Planeten, den wir trotz aller Forschung kaum kennen, und ein halbes Jahr wieder zurück. Respekt ja, Angst nein, sagt er. Entdeckungsrei- sen seien schon immer riskant gewesen, aber hätten die Menschheit entscheidend vorangebracht. „Es ist ein Risiko, das es wert ist einzugehen.“ auf 2 500 Metern Höhe. „Wir haben alle Aspekte einer Marsmission erprobt – inklusive der Zeitverzögerung bei der Telekommunikation.“ Ein Funksignal vom Mars zur Erde braucht vier bis 24 Minuten, weil es je nach Stand der Planeten zwischen 55 und 400 Millionen Kilometer Dis- tanz überbrücken muss. Die HI-SEAS-Teilnehmer*innen mussten durchgängig mit 20-minütiger Signalverzögerung zurechtkommen. Bei der Simulation ging es um die Frage, wie eine Crew ohne jeden Nachschub klarkommt. „Jedes Reagenzglas ist ein wertvoller Schatz, weil man es nicht ersetzen kann, wenn es zerbricht“, sagt Verseux. Vor allem aber sollte HI-SEAS die psychologische Dynamik in einer solch iso- lierten Gruppe testen. Wie kann man für Harmonie sor- gen, dafür, dass Konflikte nicht eskalieren? Entsprechend war die psychische Verfassung und Verträglichkeit bei der Auswahl der Crew mindestens so wichtig wie die fachli- che Qualifikation. ANFANGS WAR ER DER TYP „ZERSTREUTER PROFESSOR“ Und wie steht es damit bei Verseux? „Er ist ein wirk- lich netter Kerl, man kann es auch auf Dauer prima mit ihm aushalten“, sagt Christiane Heinicke, die am ZARM Module zum Wohnen und Arbeiten für Marsmissionen entwickelt und mit Verseux zusammen an HI-SEAS teil- nahm. Was Verseux vor allem auszeichne, sei seine Fokus- siertheit und gute Organisation. „Anfangs war er eher noch der Typ ‚zerstreuter Professor‘: Wenn er sich in ein Pro­ blem verbiss, ruhte er nicht eher, bis er es gelöst hatte.“ Mit der Zeit sei ihm aufgegangen, dass ein geordneter Tages- ablauf, genügend Schlaf und Zeit für Entspannung wich- tig sind, um auf Dauer produktiv zu bleiben, erklärt Ver- seux selbst. „Das setzt er jetzt konsequent um“, sagt seine Kollegin Heinicke. Unter Extrembedingungen produktiv zu sein, konnte Cyprien Verseux 2018 erneut üben: Er verbrachte ein Jahr auf der französisch-italienischen Concordia-Forschungs- station mitten in der Antarktis, die auch Weltraumorga- nisationen für ihre Forschung nutzen: Die Herausfor- Fotos: ZARM/Universität Bremen WIE EIN GEWÄCHSHAUS AUF DER ERDE Im Bioreaktor wachsen Bakterien unter ähnlichen Bedingungen wie auf dem Mars. „ JEDES REAGENZGLAS IST EIN SCHATZ, WEIL MAN ES NICHT ERSETZEN KANN, WENN ES ZERBRICHT.“

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