Nr. 113/2021

30 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 FORSCHUNG HAUTNAH Sternenhimmel. „Ich fragte mich, ob es auf anderen Pla- neten ebenfalls Leben gibt. Und nahmmir vor, danach zu suchen.“ Verseux wurde allerdings schnell klar, wie schwer es ist, Astronaut zu werden. Er studierte Biologie, um dem Lebensaspekt des Themas auf den Grund zu gehen. Er spezialisierte sich auf Astrobiologie, also die Lehre von den Bedingungen und möglichen Formen des Lebens im Weltall. Seine Doktorarbeit trug bei zum BIOMEX- Experiment: Zwischen 2014 und 2016 wurden Hunderte Proben verschiedener Bakterien, Algen, Flechten und Pilze an Bord der Internationalen Raumstation ISS Weltraum- und Marsbedingungen ausgesetzt. Unter den robustesten Mikroorganismen waren die Bakterien, mit denen Ver- seux sich beschäftigte: Cyanobakterien, deren Gattung Anabaena jetzt auch in den Atmos-Gefäßen in Bremen schwimmt. Bekannt sind Cyanobakterien vor allem als Blaual- gen, die im Sommer gern mal Badeseen umkippen las- sen. Bei ihrem Stoffwechsel fallen diverse Toxine an. Kom- men Blaualgen in zu hoher Konzentration vor, töten sie das Leben im See ab. Doch die Substanzen lassen sich auch sinnvoll nutzen, als Wirkstoffe für Medikamente etwa. Sie enthalten zudem Proteine und Vitamine. Und weil sie dem Boden weitere Nährstoffe entziehen, die sie wieder abge- ben, könnten sie auf demMars als Substrat für den Pflan- zenanbau verwendet werden. Noch dazu betreiben Cyano- bakterien Fotosynthese: Sie binden Kohlendioxid aus der Luft und geben dafür Sauerstoff ab – diese Eigenschaft ist auf dem Mars Gold wert. Dort ist Sauerstoff, den man dringend für Treibstoffe und Atemluft benötigt, extrem rar. Die Luft besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid und einem kleinen Teil Stickstoff. HOFFNUNGSTRÄGER BLAUALGEN Cyanobakterien sind also ein großer Hoffnungsträger der Raumfahrt. Und Verseux‘ Experimente bestätigen das: „Es war bereits klar, dass wir Cyanobakterien mit den Stoffen, die uns auf dem Mars zur Verfügung stehen, kultivieren können. Doch jetzt erkennen wir: Das geht viel leichter als gedacht! Wir müssen die atmosphärischen Bedingun- gen auf demMars nur wenig verändern, damit die Kultur gut gedeiht.“ Im Atmos-Reaktor in Bremen können die Forscher*innen Druck, Temperatur, Licht und die Zusam- mensetzung der Luft beliebig ändern und den Bakterienge- halt testen. „Wir suchen den besten Kompromiss zwischen den Voraussetzungen, die die Marsatmosphäre bietet, und denen, die Bakterien optimal wachsen lassen“, sagt Ver- seux. Es müssen nur der Druck etwas erhöht und das Ver- hältnis von Stickstoff und Kohlendioxid leicht angepasst werden. Insgesamt ist der Aufwand nicht größer als in einem Gewächshaus auf der Erde. Doch bei dieser Erkenntnis belässt es Verseux nicht. Jetzt will er mithilfe der Cyanobakterien auch ein bio- regeneratives Lebenserhaltungssystem entwickeln. „Ich möchte etwas schaffen, das vor Ort funktioniert und nicht nur in der Theorie“, sagt er. Wie aber sollte er sich ein realistisches Bild der Umstände auf dem Mars machen, wenn er entspannt in einem üppig ausgestatteten Labor sitzt? „Um Systeme zu bauen, die für Marsastronaut*innen funktionieren, muss ich als Forscher wissen, wie es ist, dort zu leben.“ Verseux sucht dieses Wissen aus möglichst direkter Erfahrung: Noch während seiner Doktorarbeit bewarb er sich für das Marssimulationsprojekt HI-SEAS der NASA auf Hawaii. Ab August 2015 lebte er ein Jahr mit fünf anderen Forscher*innen auf rund 100 Quadratmetern in einer etwa sechs Meter hohen weißen Kuppel mit einem Durchmesser von circa zwölf Metern, komplett abgeschot- tet mitten in der öden Vulkanlandschaft des Mauna Kea Der französische Astrobiologe DR. CYPRIEN VERSEUX forscht derzeit als Humboldt-Forschungsstipendiat am Zentrum für angewandte Raumfahrt­ technologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen. Bei Twitter berich­ tet Verseux mehr als 12000 Follower*innen von seiner Forschung. Über seine Zeit bei einer Marssimulation auf Hawaii und auf einer Forschungsstation in der Antarktis hat er gebloggt und Bücher veröffentlicht. @CyprienVerseux

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