Nr. 113/2021

26 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021 DEUTSCHLAND IM BLICK Diskussion und Erarbeitung von Empfehlungen an einen Tisch, von Wissenschaftsjournalist*innen über Vertreter*innen von Stiftungen und Förderorganisatio- nen wie der Humboldt-Stiftung bis hin zu Universitäten und Kommunikationsforscher*innen. Natürlich standen die Diskussionen unter dem Ein- druck der aktuellen Pandemie, die demThema eine zusätz- liche Brisanz gegeben hat. So erhielt etwa der Berliner Virologe Christian Drosten, gewissermaßen der wissen- schaftliche Cheferklärer der Pandemie und zurzeit wohl der bekannteste Forscher in Deutschland, Morddrohun- gen. Auf das Robert Koch-Institut – ebenfalls seit Beginn der Coronazeit in deutschenMedien sehr präsent durch die beinahe tägliche Kommunikation der Infektionszahlen – gab es einen Brandanschlag. Auch die wichtigste deutsche Wissenschaftsakademie, die Leopoldina in Halle, wurde bedroht und von Hacker*innen attackiert. In dieser Situation überlegt man es sich als Wissen­ schaftler*in dann doch, wemman im Pub eine Geschichte erzählt. Wer weiß, ob nicht am Ende eine wüste Kneipen- schlägerei daraus entsteht. Christian Drosten, der unter anderem in einem viel- gehörten Podcast regelmäßig neueste Forschungser- kenntnisse zum Coronavirus und zu Entwicklungen der Coronapandemie erklärt, lässt sich nicht einschüchtern und begreiftWissenschaftskommunikation als Teil seiner Aufgaben. Doch er hat Verständnis für eine gewisse Kon- taktscheu mancher Kolleg*innen imUmgang mit Wissen- schaftsthemen, die öffentlich kontrovers sind oder wer- den könnten. „Mit öffentlichen Reflexen umzugehen, sind die meistenWissenschaftler*innen nicht gewohnt. Das ist nicht Teil ihrer Ausbildung, auch nicht Teil ihrer Alltags­ erfahrung“, sagt er bei der Abschlussveranstaltung der #FactoryWisskomm. Drostens Credo ist Transparenz. Das gilt gerade auch bei unklaren Lagen, in denen man sich im Zweifel auf die eigene oder die in Gremien versammelte Berufserfahrung verlassen müsse. „Dann müssen wir sagen, auch wenn wir im Moment keine Evidenz haben, schätzen wir die Lage so und so ein.“ VERSTÄNDNISLOSE POLITIK Solche Vorläufigkeiten sorgten während der Pandemie wie- derholt für Verständnislosigkeit – auch bei Politiker*innen, die sich teilweise öffentlich über das Hin und Her der Wissenschaft beklagten. Wenig hilfreich waren in diesem Zusammenhang Medien, die in einer falschen Ausgewo- genheit unterschiedliche Stimmen aus der Wissenschaft wie gleichberechtigt nebeneinander stellten, ohne zwi- schen breitem wissenschaftlichem Konsens auf der einen und einer Mindermeinung auf der anderen Seite zu unter- scheiden. Der Eindruck bei den Rezipient*innen: Die Wis- senschaft ist zerstritten. In den Medien müsse dringend eine Nachbetrachtung und Selbstreflektion zur Kommu- nikation während der Pandemie stattfinden, mahnt des- halb Drosten. Unterm Strich kann die Coronazeit bisher aber auch als eine Erfolgsgeschichte gelesen werden, die durchaus Mut macht. So dürfte die Scientific Literacy der Bevölkerung einen gewaltigen Sprung gemacht haben. Es scheint, die Deutschen sind zu einemVolk von Expert*innen für Infek- tionsforschung geworden. Begriffe wie R-Wert und Inzi- denz, Vektor- und mRNA-Impfstoffe sind in aller Munde. Man kennt sich aus mit den Schwierigkeiten, das Infek- tionsgeschehen zu modellieren und kann souverän die Namen der unterschiedlichen gerade kursierenden Virus- varianten unterscheiden. Der erwähnte Podcast Christian Drostens, der inzwischen im wöchentlichen Wechsel mit der Frankfurter Virologin Sandra Ciesek aufgenommen wird, wurde bislang über 100 MillionenMal abgerufen. Die Hörer*innen nehmen sich für jede Folge rund eine Stunde Zeit, um wissenschaftliche Details erklärt zu bekommen und zu erfahren, wie wissenschaftliche Erkenntnispro- zesse ablaufen. Doch die Coronapandemie hat auch die Skeptiker*innen sichtbarer gemacht. Die Leugner*innen des Klimawan- dels sind nicht verschwunden. Sie wurden nur über- tönt von jenen, die gegen das Maskentragen und Imp- fen Protest schlagen. Die Gruppe solcher selbsternannten „Querdenker*innen“ wittert großangelegte Verschwörun- gen des „Systems“, zu dem aus ihrer Sicht nicht nur der Staat, sondern auch Medien und eben weite Teile der Wis- senschaft gehören. Wissenschaftliche Expertise und Wissenschaftskom- munikation spielen vor diesem Hintergrund auch eine Rolle für den sozialen Zusammenhalt und den Umgang mit politischen Extremen. Das ist viel zusätzliche Verant- wortung für dieWissenschaft, von der sich manche*r über- fordert fühlt. Wer sich auf die Kommunikation, besonders „ DIE CORONAZEIT KANN BISHER ABER AUCH ALS EINE ERFOLGSGESCHICHTE GELESEN WERDEN.“

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