Nr. 113/2021

„MAN KANN ES NICHT KALKULIEREN“ Kommunikationswissenschaftler Hektor Haarkötter im Gespräch über die Regeln der Online-Kommunikation – und darüber, wie man am besten auf einen Shitstorm reagiert. KOSMOS: Herr Haarkötter, gab es so etwas wie Shitstorms auch schon vor der Erfindung der Sozialen Medien? HEKTOR HAARKÖTTER: Sie scheinenmir tat- sächlich eine Erscheinung der digitalen Welt zu sein. Sie kamen aber schon vor Facebook, Twitter und Co. auf, beispielsweise bei Mai- linglisten, in denen es bereits rabiate Formen der Auseinandersetzung gab, die kaskadenhaft stattfanden. Genau dieses Kaskadenhafte ist ein wichtiges Kennzeichen von Shitstorms – ein Wort gibt das nächste und die Stimmung heizt sich in unfassbarem Tempo auf. Ihr Buch über Shitstorms ist 2016 erschie­ nen. Hat sich das Phänomen seither verän­ dert – sind Shitstorms häufiger geworden oder radikaler? Das lässt sich schwer sagen, weil es ja nicht DIE DIGITALEN KANÄLE SIND ZUR WISSEN­ SCHAFTS­ VERMITTLUNG GANZ HERVOR­ RAGEND GEEIGNET. „ einmal eine Definition gibt, ab wann wir von einem Shitstorm reden – sind es 50 sehr nega- tive Kommentare oder müssen es eher 500 000 sein? Was sich meiner persönlichen Meinung nach verändert hat, ist, dass Shitstorms heute immer öfter von professionellen Akteur*innen kalkuliert werden – Akteur*innen, die es von vornherein darauf anlegen, die Kommunika- tion zu vergiften. Trolle, Boulevardzeitungen, aber auch etwa populistische Parteien versu- chen dadurch, größtmögliche Aufmerksam- keit für ihr Thema zu generieren. Aber das Erstaunliche ist: Man kann es nicht kalkulie- ren. Manchmal postet man etwas, das man selbst für kontrovers formuliert hält, und es kommt keine einzige Reaktion. Und ein ander- mal schreibt man etwas scheinbar Harmlo- ses, aber ausgerechnet das bekommt jemand in den falschen Hals. SCHWERPUNKT 22 HUMBOLDT KOSMOS 113/2021

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