Nr. 116/2024
FRAU OCHOA JIMÉNEZ, KÖNNEN WIR GERECHTIGKEIT FÜR INDIGENE GRUPPEN SCHAFFEN? Einige sind Nachbildungen, viele wurden geraubt, manche ver schenkt: In der Kolonialzeit passierten unzählige internationale Kulturgegenstände Ländergrenzen. Wie man heute mit diesen Objekten umgeht, ist Gegenstand kontroverser Debatten. Die vene zolanische RechtswissenschaftlerinMaría Julia Ochoa Jiménez setzt sich dafür ein, die Interessen der indigenen Gruppen zu achten, die die Objekte einst herstellten. „Die Normen indigener Völker sind dem nationalen Recht einzel- ner Staaten nicht gleichgestellt“, erklärt María Julia Ochoa Jiménez. „Dies führt zu komplexen rechtlichen Situationen – auch imHinblick auf die internationale Rückgabe von Kulturgütern. Aus einer streng juristischen Perspektive betrachtet kann man davon ausgehen, dass die Herkunftsstaaten Eigentümer der Objekte sind und nicht die indi- genen Gruppen.“ Zudemverhandeln Staaten bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften in der Regel nur mit anderen Staaten. An solchen Verhandlungen sind indigene Gruppen zumeist nicht beteiligt. „Ideal wäre es, wenn in nationalen Gesetzen die indigenen Völker eindeutig zu den Eigentümern der von ihnen geschaffenen Kulturgü- ter erklärt würden“, sagt Ochoa Jiménez. „Jenseits der Eigentumsfrage schlage ich vor, nationale Behörden in den Herkunftsländern der Objekte gesetzlich dazu zu verpflichten, die Normen undWeltanschau- ungen indigener Gruppen zu respektieren und sie bei Entscheidungen über den Umgang mit indigenen Kulturgütern zu berücksichtigen.“ Text NORA LESSING DR. MARÍA JULIA OCHOA JIMÉNEZ ist Professorin an der Universi- dad Loyola Andalucia in Spanien. Als Humboldt-Forschungsstipendi- atin forschte sie zwischen 2021 und 2023 am Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn zu den Rechten indi- gener Völker im Kontext des internationalen Privatrechts. ALEX MÜLLER, IST GESUNDHEIT EINE FRAGE DER SEXUELLEN ORIENTIERUNG? In vielen Ländern wird queeren Menschen der Zugang zu gesund heitlichen Leistungen erschwert. Es herrschen Vorurteile, mancher orts sogar Verbote von Homosexualität. Doch Gesundheitswissen schaftler*innen wie Alex Müller kämpfen für Gleichberechtigung, auch im Schulterschluss mit Menschenrechtsorganisationen. Von der vermeintlichen heterosexuellen Norm abzuweichen, ist vie- lerorts noch immer tabu. Bestenfalls werden queere Menschen gedul- det, meist jedoch diskriminiert, oft sogar verfolgt. Wie sich dies auf die Gesundheitsversorgung auswirken kann, erforscht Alex Müller. So hat Müller beispielsweise zum Zusammenhang zwischen sexueller Orientierung und dem Zugang zu Gesundheitsleistungen Umfragen in neun afrikanischen Ländern durchgeführt: „Durchweg ist der Anteil an Gewalterfahrungen, Depressionen, Angstzuständen und Suizid versuchen unter queeren Menschen erheblich höher als unter hetero- sexuellen – und es sind strukturelle Umstände, die dazu führen.“ Zwar haben afrikanische Staaten oft recht fortschrittliche Verfassun- gen etwa hinsichtlich der Privatsphäre undMedizinversorgung, weil die Staaten und ihre Gesetze noch recht jung sind. Zur sexuellen Freiheit jedoch wurden oft alte Regelungen aus der Kolonialzeit übernommen, die dazu führen, dass queere Menschen stigmatisiert werden und schwer Zugang zu Gesundheitsleistungen finden. So lehnen es Ärzt*innen zum Teil ab, sie zu behandeln oder ihnen werden Verhütungsmittel mit Verweis auf das Verbot der gleichgeschlechtlichen Liebe verweigert. Müllers wissenschaftliche Erkenntnisse fließen auch in Gerichts- prozesse ein, in denen queere Menschen die Einschränkung ihrer sexu- ellen Freiheit anprangern. In Botswana zum Beispiel unterstützte Müller zusammen mit Menschenrechtsorganisationen einen schwu- lenMann, der gegen die restriktive Rechtslage geklagt hatte. Mit Erfolg: Das Verbot der Homosexualität wurde 2019 abgeschafft. Text JAN BERNDORFF DR. ALEX MÜLLER forscht am Institut für Internationale Gesundheit der Charité in Berlin und war 2020/21 mit einem Humboldt- Forschungsstipendium an der Universität Göttingen tätig. 8 9 HUMBOLDT KOSMOS 116/2024 HUMBOLDT KOSMOS 116/2024 NACHGEFRAGT
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