Nr. 116/2024

Künstliche Intelligenz kann die Entwicklung in armen Ländern bef lügeln und internationale Zusammenarbeit fördern, wenn Sprachbarrieren fallen. Gaurav Sharma aus Indien erforscht,­ welche regulatorischen Hürden es zu überwinden gilt, damit dies möglich wird. Künstliche Intelligenz (KI) birgt Risiken. Aber sie bietet auch neue Möglichkeiten, inWissenschaft, Medizin, Wirtschaft, Kultur – und in der Politik. Letzteres weiß kaum jemand besser als Gaurav Sharma. „KI kann die Kommunikation bis in die tiefsten Ebenen der Bevölke- rungspyramiden erleichtern“, sagt der IT-Experte. Unter anderem, weil sich moderne KI-Sprachmodelle inzwischen auch mit seltenen Dia- lekten trainieren lassen. Das baue Sprachbarrieren ab, etwa bei der Landbevölkerung in Entwicklungsländern oder indigenen Gruppen. Es wird ihnen erleichtert, sich landesweit zu verständigen und ihre Interessen öffentlich zu vertreten oder Zugang zu Dienstleistungen wie etwa Katastrophenwarndiensten zu erhalten. Das wirke sich auch auf internationale Kommunikation und Politik aus: „Der Austausch vonWissen über Grenzen hinweg kann von KI ebenfalls sehr profitie- ren“, ist Sharma überzeugt. „Politik und Diplomatie haben inzwischen verstanden, welche neuen Möglichkeiten KI-Sprachmodelle für die Völkerverständigung bieten.“ Allerdings fehlt es in vielen Ländern noch an Regeln für einen ethisch und sozial verantwortlichen Umgang mit KI. Selbst Länder wie Deutschland und die USA stehen da ja noch am Anfang. Darauf zielt ein Projekt ab, das Sharma für die Deutsche Gesellschaft für Inter- nationale Zusammenarbeit (GIZ) in Indien, Indonesien und fünf Län- dern Afrikas durchführt. Dabei prüft er zum Beispiel, inwiefern sich bestehende Gesetze zur Transparenz von KI, wie sie in Ländern wie etwa Indien bereits gelten, auf andere Länder übertragen lassen. Text JAN BERNDORFF GAURAV SHARMA hat Abschlüsse in Internationaler Sicherheit, Menschenrechte und IT-Technologie und war 2015/16 als Bundes- kanzler-Stipendiat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. HERR SHARMA, KANN KI DIE WELT ZUSAMMEN- BRINGEN? Herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält: Die Phi­ losophie will überzeitlicheWahrheiten finden, die für alle Menschen gelten. Den Kanon prägen heute jedoch vor allemdie Überlegungen einiger weniger europäischer Philosophen. Wie viel Rassismus in ihremDenken steckt, untersucht die PhilosophinMarina Martinez Mateo. „Im Grunde ist es letztlich nur eine kleine Anzahl europäischer Denker, die bis heute das Selbstverständnis westlicher Gesellschaften beeinflussen“, sagt Martinez Mateo. „Dabei gibt es wenig Bewusstsein für die historische Einbettung ihrer Philosophien.“ Gemeint ist, dass Wissen stets in einem bestimmten Kontext entsteht und von den Herr- schafts- und Gewaltverhältnissen der Zeit geprägt ist. Auch den Wer- ken großer Philosophen liegen so etwa sexistische und rassistische Ideen zugrunde. Selbst die Philosophie der Aufklärung gerät hier in den kritischen Blick: „Kant zum Beispiel hat eine ganze Rassentheo- rie entwickelt und damit zum modernen Rassendenken beigetragen“, sagt Martinez Mateo, die zumVerhältnis von Philosophie und Rassis- mus forscht. Wer heute mit von Kant und Co. entwickeltenTheorien und Begriffen arbeitet, kann so versehentlich auch rassistische Annahmen weiter- tragen, erklärt Martinez Mateo. „Ich wünsche mir, dass es in der philosophiehistorischen Forschung eine stärkere Auseinandersetzung mit den eigenen Methodiken gibt, mit der Quellenauswahl und mit den Implikationen, die damit verbunden sind“, sagt sie. Zugleich, so die Forscherin, fehle uns oft der Blick auf Denker*innen, die aus ande- ren Regionen der Welt spannende Impulse geliefert haben. Auch durch Übersetzungen europäischer Texte in andere Kontexte hätten sich neue Fragestellungen und philosophische Traditionen entwickelt. Texte wur- den reinterpretiert und politisiert. Sich diesen globalen Aspekten stär- ker zu öffnen, würde der Pluralisierung der philosophischen Lehre und Forschung guttun, plädiert Martinez Mateo. Text NORA LESSING PROFESSORIN DR. MARINA MARTINEZ MATEO ist Juniorprofes- sorin für Medien- und Technikphilosophie an der Akademie der Bildenden Künste München und war 2022/2023 als Feodor Lynen- Stipendiatin an der Northwestern University, Evanston, USA. FRAU MARTINEZ MATEO, WIE RASSISTISCH IST DIE PHILOSOPHIE? 10 11 HUMBOLDT KOSMOS 116/2024 HUMBOLDT KOSMOS 116/2024 NACHGEFRAGT

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=