Nr. 115/2023

30 HUMBOLDT KOSMOS 115/2023 FORSCHUNG HAUTNAH In Russland streut die Regierung gezielt Falschinformatio- nen, um die wahren Ereignisse des Krieges in der Ukraine zu verschleiern. Im Iran drosselt das Regime das Internet in der Hoffnung, so zu verhindern, dass sich Protestierende vernetzen und dass etwas davon nach außen dringt. Aber Zensur, sagt Roberts, sei mehr als das. Zensur funktio- niere – gerade in Friedenszeiten – oft viel subtiler. „Bestimmte Informationen werden schwerer zugäng- lich gemacht, ohne dass die Menschen das notwendiger- weise direkt merken“, erklärt sie. „Sie müssen dann grö- ßeren Aufwand betreiben, um an sie zu gelangen, doch diesen Aufwand betreiben viele nicht, weil es oft im All- tag schlicht nicht praktikabel ist.“ So wie beim Beispiel der lokalen Proteste in China: „Nehmen wir an, eine Person hat von einem Protest gehört, findet aber online nichts dazu, weil alle Posts zu demThema stillschweigend entfernt wur- den“, erklärt Roberts. „Diese Person wird sich fragen: Gibt es die Proteste überhaupt? Oder vielleicht wird sie denken: So wichtig kann das alles nicht sein.“ PROTESTE BLEIBEN VERBORGEN Um überhaupt von den Protesten zu erfahren, müssen die Menschen sie in dieser Situation entweder selbst beobach- tet oder imGespräch mit anderen davon gehört haben. Und um auf gesperrte ausländische Medien und deren Bericht- erstattung zugreifen zu können, benötigt man technische Lösungen, um die Zensur zu umgehen, wie etwa Verbin- dungen über Virtual Private Networks (VPN). Doch das koste Geld und bedeute einen gewissen Aufwand, sodass nicht alle zu solchenMitteln greifen. So werde Vernetzung, die sich gegen die Regierung und das von ihr ausgege- bene Narrativ richtet, verhindert, oder zumindest schwe- rer gemacht, erklärt Roberts. Mittlerweile forscht und lehrt sie als Professorin an der University of California in San Diego. 2022 wurde sie mit dem Max-Planck-Humboldt-Forschungspreis ausge- zeichnet, den die Humboldt-Stiftung und die Max-Planck- Gesellschaft gemeinsam verleihen. Die außergewöhnliche Karriere und das innovative Forschungsprofil von Roberts hatten das Auswahlkomitee überzeugt. Mit dem Preisgeld in Höhe von 1,5 Millionen Euro will sie ihre Zensurfor- schung weiter vertiefen und in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und der Universität Konstanz ein Projekt starten, bei dem sie sich der Rolle von Social-Media-Plattformen zuwendet. Auf ihren Karriereweg angesprochen, sagt Molly Roberts, sie habe viel Glück gehabt – einfach weil sie die Möglichkeit hatte, ihren Ideen und Interessen uneinge- schränkt nachzugehen. „Dass ich mich als Studentin für Chinesisch eingeschrieben habe, war einfach aus einer Laune heraus.“ Asien, sagt sie, hatte sie zu Beginn ihres Studiums noch nie besucht. „Ich war einfach neugierig und wollte etwas Neues ausprobieren.“ Wieder war es eine Betreuerin, die sie in die richtige Richtung stupste. „Sie empfahl mir zusätzlich einen Soziologiekurs zu besuchen, in dem es umChina unter Mao ging.“ Nach demKurs war Roberts so fasziniert, dass sie sich 2005 kurzerhand für ein Programm bewarb, mit dem sie den Sommer über nach China reisen konnte. Der erste von mehreren Aufenthal- ten dort, ein Auslandssemester verbrachte sie in Peking. INFORMATIONEN WERDEN SCHWERER ZUGÄNGLICH GEMACHT, OHNE DASS MAN ES MERKT. „

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