Nr. 115/2023

Als Direktor des Heidelberger Instituts für Global Health (HIGH) arbeitet Bärnighausen unmittelbar an Lösungen für diese Heraus­ forderungen und ihre Wechselwirkungen. Zum Thema Klimawandel und Pandemien hat Bärnighausen zuletzt ein großes Sympo- sium mitorganisiert: Der Klimawandel sorgt nicht nur für Hitze, Sturm und Starkregen, die unmittelbare Gefahr für unser Leben bedeu- ten. Er bedroht auch indirekt unsere Gesund- heit, indem er die Wahrscheinlichkeit von Pandemien steigert. Etwa durch die Ausbrei- tung exotischer Stechmücken in Europa, die gefährliche Krankheiten wie das West-Nil- oder Dengue-Fieber oder Malaria übertra- gen können. TIGERMÜCKEN LIEBEN BARCELONA 2005 tauchte etwa das erste Exemplar der Asi- atischen Tigermücke in Barcelona auf. In den vergangenen Jahren gab es bereits Ausbrüche des von ihr übertragenen Chikungunya-Fie- bers. Bärnighausen, der dazu mit seinemTeam und Partnern vor Ort ein Projekt durchführt, sieht einen Lösungsansatz in der Kanalisation. Diese stammt in Barcelona zum Teil noch aus der Römerzeit und ist eine ideale Brutstätte für die exotischen Mücken, die sich in der feucht- warmen Dunkelheit pudelwohl fühlen. „In den eckigen Kanälen, die an vielen Stellen für stehendes Wasser sorgen, gedeiht der Mücken- Bärnighausen adressiert dabei auch die deutsche Regierung: „Da fehlt etwas die Experimentierfreude, um neue Lösungsan- sätze auszuprobieren, wie ich das zum Bei- spiel in Afrika erlebe, wenn es darum geht, HIV einzudämmen.“ Die Einführung von AIDS-Selbsttests etwa habe erstaunlich gut gewirkt, weil viele Menschen sich schämen, zum Arzt zu gehen. SCHNELLER ZU LÖSUNGEN DURCH KI Um zu erforschen, welche Lösungsansätze zum Erfolg führen, braucht es Unmengen an Daten. Um dieser Herr zu werden, arbei- tet Bärnighausen mit dem Kollegen Joacim Rocklöv zusammen, dem zweiten Humboldt- Professor an seinem Institut. Der Mathema- tiker ist KI-Spezialist und modelliert unter anderem die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Infektionskrankheiten am Computer. So gehen Medizin, Sozial- und Computerwissenschaften am HIGH sozusa- gen eine Symbiose ein. „Als gelernter Medizinhistoriker weiß ich, dass die Menschen in der Geschichte immer wieder gute Lösungen für die Herausforderun- gen ihrer Zeit gefunden haben“, sagt Bärnig- hausen „Mit Interventionsforschung und den neuen technischen Möglichkeiten gelingt uns das jedoch noch erheblich schneller und nach- haltiger.“ Text JAN BERNDORFF „ DER REGIERUNG FEHLT ES ETWAS AN EXPERIMENTIER- FREUDE. nachwuchs. Diese sollen nun durch kurvige Kanäle ersetzt werden, damit das Wasser über- all abfließen kann.“ Regelmäßig wird geprüft, ob die Maßnahmen den gewünschten Effekt haben, etwa indem durch das Aufstellen von Mückenfallen die Populationsdichte gemes- sen wird. Bärnighausens Institut ist auf diese soge- nannte Interventionsforschung spezialisiert und darin weltweit führend. Er würde sich wünschen, dass mehr Institutionen es ihm nachtun: „Nicht nur in der Gesundheitsfor- schung, sondern in Politik, Entwicklungs- hilfe, Klimaschutz – überall sollte stets wissen- schaftlich fundiert überprüft werden, ob ein Eingriff in ein System auch tatsächlich posi- tive Wirkungen hat.“ Die Medizin, in der die Evidenz als Basis für Fortschritt heute Stan- dard ist, sei da ein Vorreiter. Foto: Humboldt-Stiftung/Elbmotion 25 HUMBOLDT KOSMOS 115/2023

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