Nr. 115/2023

„Um globale Krisen bewältigen zu können, muss die weltweite Forschungsgemeinschaft fluider, interdisziplinärer und transparen- ter werden“, sagt Catherine Heymans, Astro- physikerin und Max-Planck-Humboldt-For- schungspreisträgerin aus dem Vereinigten Königreich. Dazu bedürfe es auch vielfälti- gerer Teams. Die wichtigste und drängendste Zukunftsfrage sei der Klimawandel, so Hey- mans. „Was wir dafür jetzt brauchen, ist die Willenskraft, gemeinsam und fachübergrei- fend in möglichst diversen Teams an Lösun- gen zu arbeiten.“ „Das Schöne an Wissenschaft ist, dass man die ganz großen Fragen stellen darf “, sagt Heymans. „Um sie zu beantworten, brau- chen wir Teams aus Wissenschaftler*innen, die möglichst vielfältige Perspektiven mit- bringen, die unterschiedlich aufgewachsen sind, unterschiedliche Schulsysteme durch- laufen haben und unterschiedliche Erfah- rungen gemacht haben. Solche Teams sind in der Lage, ein Problem aus ganz verschiede- nen Richtungen anzugehen.“ Diversität in der Wissenschaft entspreche nicht nur dem Zeit- geist oder sei „politisch korrekt‘‘, betont Hey- mans. „In der Wirtschaft ist das längst Com- mon Sense: Eine diverse Belegschaft, die sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlt und wertge- schätzt wird, verbessert nachgewiesenerma- ßen die Ergebnisse.“ Die britische Astrophysi­ kerin PROFESSORIN DR. CATHERINE HEYMANS forscht und lehrt an der University of Edinburgh in Schottland. 2018 erhielt sie den mit 1,5 Millionen Euro dotierten Max-Planck- Humboldt-Forschungs- preis für ihre Forschungen zur Dunklen Energie. Als Gastprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum hat sie die Co-Leitung des German Centre for Cosmo- logical Lensing inne. DISKRIMINIERUNG SCHADET DEM FORTSCHRITT Wissenschaft profitiert von Diversität. Doch wer nicht der Norm entspricht, muss Nachteile fürchten. macht. Die Schule hat mich damals absolut nicht interessiert. Also habe ich geschwänzt und bin auf die Baustelle gegangen. Meine Eltern mussten viele Entschuldigungen schrei­ ben. Mein Abitur war am Ende trotzdem gut, aber ich habe natürlich schwere Bildungs­ lücken davongetragen (lacht). Dafür habe ich eine andere Lebenswirklichkeit kennen- gelernt. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit. Ihr Forschungsgebiet ist die Energiewende. Wie gut ist Deutschland für den Wandel gerüstet? Bei der Energiewende ist Verlässlichkeit extrem wichtig. Denn es geht um Anlagen, die groß sind, teuer, auch gefährlich. Da darf man keine Fehler machen. Das ist etwas, was wir in unse- rem Land gut können, also mit großen, kom- plexen Systemen umgehen und diese verläss- lich designen. Wo wir uns dagegen schwertun, ist, die Schnittstelle zwischen Regulation und Technologie richtig hinzubekommen. Inwiefern? Wir hören jeden Tag, wir müssen schnel- ler werden. Und gleichzeitig schaffen wir in Deutschland neue Regeln, die uns bremsen. Da werden neue LNG-Terminals in Betrieb genommen und erhalten aus irgendwelchen Gründen anfangs nur die Genehmigung, vier Stunden am Tag zu laufen. Was soll das? Kein Land der Welt würde auf die Idee kommen, für den Fall eines Gasnotstands der Abhilfe so eine Begrenzung aufzuerlegen. Ist Überregulierung ein deutscher Stand- ortnachteil? Wir schränken uns durch regulatorische Rah- menbedingungen einfach irrsinnig ein. Da ist viel Ideologisches unterwegs, und das ist völlig unbrauchbar, wenn man neue Lösungen sucht. Das ist ein Nachteil gegenüber Konkurrenten wie den USA. Dort gehen sie hemdsärmeliger an die Sache ran, machen dabei möglicher- weise auch ganz viele Fehler. Aber sie machen es halt – schnell und pragmatisch. Beides sind keine charakteristischen Eigenschaften des deutschen Systems. Wir brauchen einen ver- nünftigen Mix aus deutscher Gründlichkeit und amerikanischem hands-on! Das ist das Gute am Wissenschaftsaustausch à la Hum- boldt. Wir können viel voneinander lernen. Interview von GEORG SCHOLL SCHWERPUNKT 20 HUMBOLDT KOSMOS 115/2023

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