Nr. 115/2023

weise vollkommen hoffnungslos würde. Das Netzwerk der Alexander von Humboldt-Stif- tung ist hervorragend aufgestellt, weil es eben nicht disziplinär oder national ausgerichtet ist. Alles hängt mit allem zusammen, wie Hum- boldt schon sagte. Der globale Süden ist von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen. Zugleich sind diese Länder in der Spitzenwissenschaft unterrepräsentiert, teilweise auch imHum- boldt-Netzwerk … Und das zu ändern, ist eines meiner Ziele. Exzellente Wissenschaft sollte keine Frage der Geografie sein. Aber die Umstände, unter denen man arbeitet, sind verschieden. Unsere hiesigen Vorstellungen von Exzellenz sind einfach schwer umzusetzen, wenn Sie nicht in einem hoch entwickelten Industrieland arbeiten. Ich habe beispielsweise großen Res- pekt gegenüber den Forschenden in Afrika, die ich kennenlernen durfte und die unter wirk- lich schwierigen Bedingungen Hervorragen- des leisten. Afrika hat ein riesiges Potenzial, nicht nur als Lieferant von grüner Energie, sondern auch in der dazugehörigen Forschung und Entwicklung. Die Forschung in Deutsch- land verliert dadurch, dass wir dieses Poten- zial nicht genug einbinden. Die Stiftung hat in ihrer 70-jährigen Ge- schichte Forschende aus über 140 Ländern für ihr „Netzwerk des Vertrauens“ gewon- nen. Im Falle Russlands oder Chinas wird nun gefragt, ob Deutschland zu blauäugig in seine Partner vertraut hat … Der Vorwurf der Blauäugigkeit trifft aus mei- ner Sicht absolut zu. Ich glaube, Deutschland hat manchmal einen überbordendenWunsch, international zu sein. Und der geht dann so weit, dass man die eigenen Interessen verrät. Was muss sich ändern imUmgangmit einem Land wie China? Das hat jetzt nichts mit einzelnen Personen aus China zu tun, mit denen wir vertrauens- voll zusammenarbeiten. Aber am Ende ist ein Wissenschaftssystem natürlich Teil eines Staatssystems. Und wenn das auf autokrati- sche Weltbeherrschung ausgerichtet ist, dann muss man sich auch die Frage stellen, ob wir diesem System unser Vertrauen einfach in den Rachen werfen. Ich meine, nein. Ich bin gegen Abschottung. Aber wir müssen klare Regeln vereinbaren, zur Frage des geistigen Eigen- tums ganz vorneweg. Man muss sich die Mühe machen und indi- viduell beurteilen, sich über die Auswahl- kriterien im Klaren sein und Entscheidun- gen anhand von verifizierbaren Argumenten treffen. Ich würde mir generell wünschen, dass mehr über die eigentliche Sache diskutiert wird als darüber, wer was über wen geschrie- ben hat. Ich bin kein Freund von Gutachten, bei denen man ganz genau lesen muss, welche Wortwahl im letzten Satz benutzt wurde, um herauszufinden, was der Gutachter oder die Gutachterin uns sagen will. Die genaue, oder besser, die vermeintlich richtige Wortwahl wird auch im universitä- ren Diskurs immer wichtiger. Wie wichtig ist Ihnen Political Correctness? Ich sehe eine Tendenz, die Wissenschaft solle sich bitte so verhalten, wie sich Teile der Gesellschaft das wünschen. Ich finde das schlimm. Denn gerade die Wissenschaft muss eigentlich der Ort des freien Diskurses sein, und gerade die Universität ein Ort, wo man einübt, unterschiedliche Standpunkte auszu- halten und sie auch auszudiskutieren. Es gibt Hinweise darauf, dass vielfältig zusammengesetzte Teams bessere Ergeb- nisse erzielen. Muss Diversität ein Ziel sein, um die Qualität der Forschung zu steigern? Wenn man bei der Auswahl von Personen unvoreingenommen nach Qualität gehen würde, würde sich das von selbst erledigen. Ich kenne das bei Musikern, die müssen hinter einem Vorhang vorspielen. Man weiß nichts über die Eigenschaften der Person, hört nur die Musik und danach wird entschieden. Das wünschte ich mir manchmal in der Wissen- schaft auch so. Denn wir alle haben Vorurteile und lassen uns von ihnen leiten. Gerade die deutsche Gesellschaft ist wenig vorurteilsfrei. In welchen Ländern ist das besser? Beispielsweise sind die USA, Australien, auch England, drei Länder, in denen ich eine gewisse Lebenserfahrung gesammelt habe und weniger Vorurteile beobachten konnte. Das mag zwar nur oberflächlich so sein, aber das Onboarding von Menschen aus anderen Kul- turen geht jedenfalls viel leichter als bei uns. Sie sind gelernter Maurer. Sind Ihnen selbst deswegen Vorbehalte imForschungsbetrieb begegnet? Nein. Man muss dazu sagen, ich habe meine Lehre parallel zu meiner Schulbildung ge- „ DAS WESTLICHE WERTESYSTEM MUSS VERTEIDIGT WERDEN. Wertesystems und dieses Wertesystem muss verteidigt werden. Ein Problem, das alleWissenschaftssysteme betrifft, ist der Konkurrenz- und Publikati- onsdruck. Was bedeutet dies für die Arbeit der Stiftung? Das ist ein echter Fehler in unserem Sys- tem. Für den Erkenntnisgewinn ist es über- haupt nicht produktiv, wenn man permanent schauen muss, wo man das nächste Science Paper herbekommt, damit man den H-Fak- tor für den laufenden Förderantrag erreicht. Die Aufgabe der Humboldt-Stiftung, nämlich Exzellenz zu identifizieren, wird deswegen immer schwieriger. Ist Verkaufen vonWissen- schaft ein Exzellenzkriterium? Ist das schon der Impact? Das ist eine sehr, sehr schwer zu beantwortende Frage, insbesondere wenn es um wirklich originelle Wissenschaft geht. Denn die hat zunächst gar keinen Impact in Form von vielen Zitationen. Wie also wählt man in der Forschungs­ förderung gerecht aus? Die deutsche Bundesregierung will eine wertebasierte Außenpolitik. Muss sich die Stiftung neben wissenschaftlichen Standards auch für Menschenrechte interessieren? Das Wertesystem in der Wissenschaft ist auf Respekt aufgebaut. Wenn ich mit einer Wis- senschaftlerin oder einem Wissenschaftler aus einem System zusammenarbeite, in dem das Individuum nicht wertgeschätzt wird, sehe ich einen fundamentalen Konflikt. Die Menschenwürde ist überall zu schützen. Das müssen wir klar gegenüber unseren Partnern formulieren. Wir sind Teil des westlichen Foto: Humboldt-Stiftung/David Ausserhofer › 19 HUMBOLDT KOSMOS 115/2023

RkJQdWJsaXNoZXIy NTMzMTY=