Nr. 114/2022

Ich habe den Eindruck, Deutschland ist seit meinem ersten Besuch vor mehr als 25 Jahren als frisch verheirateter Post- doc in Stuttgart zu einem noch faszinierenderen, offeneren, gastfreundlicheren, diverseren und kulturell reicheren Land geworden, in dem Demokratie und Wissenschaft zentrale Bedeutung haben. Diesen Wandel finde ich beachtlich (zum Teil liegt das natürlich auch an meiner eigenen Sichtweise und Wahrnehmung, die sich in den letzten 25 Jahren ebenfalls weiterentwickelt haben). Ich weiß noch, dass mir bei meinem ersten Aufenthalt 1993/94 auffiel, wie schwer sich die Deutschen mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust getan haben. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass der Umgang auch mit den dunklen Zeiten der deutschen Vergan- genheit gereift ist. In einer Aus- stellung im Berliner Humboldt Forum habe ich wunderschöne Elfenbeinschnitzereien gesehen, daneben Exponate, die die Zeit des deutschen Kolonialismus in Afrika und Elefantenschlach- tungen thematisieren. Am Ende werden die Besucher*innen gefragt: Sollte solche Kunst aus- gestellt werden? Wie ließe sich am besten verhindern, dass sich solche Gräueltaten wiederho- len? Ähnlich beeindruckend ist die Ausstellung des Jüdischen Museums, in der deutschen Jüdinnen und Juden der heutigen Zeit eine Stimme gegeben wird und zugleich Wagner und seine Musik aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert werden. Ich glaube, Scham und Schuldgefühle sind wichtig, doch letzt- lich führt das offene Hinterfragen derart komplexer Themen erst zu Veränderungen. Es ergreift einen und kann so mitunter Wunden heilen. Fotos: privat 1994 OST VS. WEST In den 1990ern teilte eine imaginäre Linie das Land in zwei Hälften. „ EIN NOCH FASZINIEREN­ DERES, OFFENERES, GASTFREUNDLICHERES, DIVERSERES UND KULTURELL REICHERES LAND“ 31 HUMBOLDT KOSMOS 114/2022

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