Nr. 114/2022

28 HUMBOLDT KOSMOS 114/2022 FORSCHUNG HAUTNAH Frag ich mich warum ich der Einzige bin, der sich auswei- sen muss / Identität beweisen muss“, reimten Advanced Chemistry vor mittlerweile 30 Jahren. Zeilen, die auch heute noch Aktualität haben. Damals wie heute habe es migrantischen Communities in Deutschland an echter gesellschaftlicher Teilhabe gefehlt, so Yakpo. Mitte der 1990er-Jahre verabschiedete er sich aus der Musik, begann auf Reisen zu gehen und für seine Magis- terarbeit zu forschen. Sein erstes Ziel war Vanuatu, ein Inselstaat im Südpazifik. „Von dieser Reise kam ich total euphorisch und aufgeladen zurück nach Deutschland“, erinnert sich Yakpo. Er habe weiterforschen wollen, aber nicht gewusst, wie. „Promotion, Habilitation: Der gesamte Prozess war für mich unklar.“ Er hätte damals Rat gebraucht, eine*n Mentor*in. Doch eine solche Per- son gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Die mangelnde Perspektive habe ihn damals desillusio- niert. Deswegen schlug Yakpo zunächst eine vollkommen andere Richtung ein. „Raus aus dem engen Deutschland“, wie er sagt. Er studierte Management und Jura in Genf und London. ImAnschluss arbeitete er für die Menschen- rechtsorganisation FIAN International (FoodFirst Infor- mations- und Aktions-Netzwerk) und schließlich für die Grünen im Bundestag in Berlin. Heute vereint Kofi Yakpo in Hongkong die verschiede- nen Elemente seines Lebens in seiner wissenschaftlichen Arbeit: Statt Hip-Hop-Rhymes sind es mittlerweile seine Forschungsergebnisse, die koloniale Strukturen aufzeigen und rassistische Mythen entlarven. Ein solcher Mythos etwa lautet, dass Kreolsprachen ver- einfachte Sprachen seien. Yakpo konnte nachweisen, dass viele Kreolsprachen Tonsprachen sind, in denen die Ton- höhe die Bedeutung eines Wortes und die Grammatik ver- ändert. Ein Konzept, das es in europäischen Sprachen nicht gibt. „Hinter der Annahme, Kreolsprachen hätten kein Tonsystem, steckt der Gedanke: Weil wir das nicht kennen, ist es kompliziert. Und weil in die Sklaverei verschleppte Afrikaner*innen ‚kompliziert‘ nicht können, können Kreolsprachen keine Tonsprachen sein“, sagt Yakpo. Sein Forschungsfeld ist innerhalb der Linguistik hochpolitisch und brisant: Es thematisiert koloniales Erbe und damit oft auch rassistisches Gedankengut und stereotype Grundan- nahmen innerhalb des eigenen, häufig eher eurozentrisch aufgestellten Fachs. IN AFRIKA DARF SICH SPRACHE VERÄNDERN Als Humboldt-Forschungsstipendiat in Berlin verfolgte er jüngst einen weiteren Strang: „Ich wollte wissen, wie sich Sprachen entwickeln, die nicht durch Verschriftli- chung oder durch staatliche Instanzen standardisiert sind.“ Auch eine strenge Normierung von Sprache sei letztlich ein europäisches Konzept. Sprache werde in Europa als etwas gesehen, das sich nicht verändern dürfe. „In West- afrika ist das nicht so“, sagt Yakpo. „Da ist Variation der Normalzustand.“ Auch sozioökonomische Aspekte sind Teil seiner For- schung. Yakpo fand heraus, dass Teilhabemöglichkeiten und Aufstiegserwartungen beeinflussen, wie stark Spra- chen bei der Hybridisierung verändert werden. Dazu hat er das Konzept der sozialen Verankerung entwickelt. Yakpo konnte nachweisen, dass zum Beispiel das nigerianische Pidgin, das heute von 100 bis 150 Millionen Menschen gesprochen wird, höchstwahrscheinlich auf eine kleine Krio sprechende Gemeinschaft aus Sierra Leone zurück- geht: ehemals versklavte Afrikaner*innen, die im 19. Jahr- hundert vor der KüsteWestafrikas von der britischen Navy aus illegalen Sklaventransporten befreit und nach Free- town gebracht worden waren. „Sie nahmen in der dama- ligen britischen Kronkolonie und in ganz Westafrika eine Art Mittlerrolle zwischen zwei gesellschaftlichen Schich- ten ein“, erklärt Yakpo. „Sie waren Lehrer, Missionare und Händler mit privilegiertem Zugang zum britischen Kolo- nialsystem und zur afrikanischen Gesellschaft zugleich.“ FELDFORSCHUNG: Kofi Yakpo 2012 mit Bhojpuri sprechenden Jugendlichen auf Mauritius. Bhojpuri kam durch Migration während der britischen Kolonialzeit nach Mauritius und ist heute die zweithäufigste Sprache dort. / Das Bild rechts zeigt einen Workshop zur Sprachdokumentation 2019 an der Universität Malaya, Malaysia.

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