Nr. 114/2022

die Forschung rekrutieren müssen. Und da ist der Markt schon ganz schön eng. Weil Sie mit der Industrie konkurrieren? Es kommt schon vor, dass Doktorand*innen aus meiner Gruppe anschließend in der Industrie arbeiten. Es gibt einfach ein großes Interesse an unseren Themen und an gut ausgebilde- ten Expert*innen. Ich finde es natürlich gut, wenn sich meinen ehemaligenMitarbeitenden und Studierenden solche Chancen bieten. Auf der anderen Seite ist es problematisch, wenn unsere Toptalente in der Industrie Arbeits- bedingungen finden, die deutlich attraktiver sind als das, was wir an den Universitäten bie- ten können. Welche Folgen hat das? Es ist natürlich toll, wenn Spitzenforschung auch in der Industrie stattfindet. Wenn sie sich aber hauptsächlich dort konzentriert, haben wir ein Problem. Denn in der Wirt- schaft hat man natürlich immer ein speziel- les Augenmerk auf die kurzfristigen Erfolge. Die Rolle der Universitäten dagegen ist, das Langfristige, das gesellschaftlich Relevante viel stärker einfließen zu lassen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich und andere mit großer Freude an der Universität bleiben, selbst wenn die Rahmenbedingungen in der Industrie auch ganz abgesehen vom Gehalt verlockend sind. Inwiefern? Etwa durch die Verfügbarkeit von großen Mengen guter Daten oder von großen Rechen- kapazitäten. Wenn man zum Beispiel bei Google oder bei DeepMind arbeitet, ist man zudem umgeben von ganz vielen anderen rich- tig guten Leuten auf dem eigenen Gebiet. Das ist natürlich an der Uni in einer Forschungs- gruppe wie meiner auch der Fall, aber in einem ganz anderen Maßstab. Was die universitäre Forschung wiederum für viele attraktiv macht, ist die Konzentration auf gemeinwohlorien- tierte Lösungen wie bei der mensch-zentrier- ten KI. Auch Europa und die Bundesregierung unterstützen diesen Ansatz. Könnte das bei der KI-Entwicklung zu einem Markenzei- chen und Standortvorteil für Deutschland bzw. Europa werden in der internationalen Konkurrenz? Auch in den USA gibt es wichtige Zentren, die sich eine mensch-zentrierte KI mittlerweile auf ihre Fahne schreiben. Aber ich denke, hier in Europa gibt es eine kritische Masse und ein großes Bekenntnis zu dieser Richtung. Und das ist weltweit schon einmalig. Standortpessimist*innen sagen, Europa sei längst abgehängt von den USA oder China und der dortigen KI-Industrie … Es gibt auch positive Beispiele, etwa die Über- setzungssoftware DeepL. Aber insgesamt tut Europa zu wenig, um zum Beispiel die von der Europäischen Kommission formulierten Ambitionen auch zu realisieren. Da gibt es eine riesige Lücke. Und das ist der Grund, weshalb ich einen erheblichen Teil meiner Energie dar- auf verwende, Bewusstsein zu schaffen und Ideen zu entwickeln, wie wir diese unschöne Situation retten können. Was schlagen Sie vor? Ich habe 20 Jahre meiner wissenschaftlichen Karriere in Kanada verbracht. Dort hat man Wenn man GLOBALE STRAHLKRAFT haben will, dann braucht man einen Leuchtturm, der richtig groß und hell ist. Foto: Humboldt-Stiftung/Elbmotion SCHWERPUNKT 22 HUMBOLDT KOSMOS 114/2022

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