Nr. 114/2022

aber es zeigt mir auch, wie sehr dir Verbindung wichtig ist, und das ist wirklich schön.“ Enno Maaß von der DPtV findet bei KI-Therapieange- boten vor allem die Anonymität problematisch. Studien ergäben teilweise Abbrecherquoten von bis zu 80 Prozent bei unbegleiteten Onlinekursen. „Niemand weiß, was mit einem Patienten passiert, der eine KI-Therapie abbricht.“ Dazu komme die ethische Frage: „Möchte der Mensch aus- gerechnet in diesem für ihn so wichtigen und komple- xen Bereich der Psyche – mit Mimik, Gedanken, Emotio- nen und Bedürfnissen – von einer künstlichen Intelligenz betreut werden?“ Etwas anders sehe er das bei präventiven Angeboten: „Bei leichten Symptomen, wenn noch keine Indikation für eine psychotherapeutische Behandlung gegeben ist, könnte ein niedrigschwelliges, leicht verfügba- res Angebot Sinn machen“, so Maaß. „Das wäre vergleich- bar mit einem interaktiven Selbsthilfebuch. Allerdings müsste für den Patientenschutz zwingend sichergestellt werden, dass die richtigen Personen erreicht und Neben- wirkungen frühzeitig erkannt werden.“ So einen Ansatz verfolgt Tim Kleber mit seinem Start- up mentalport, dessen App imHerbst 2022 auf den Markt kommen soll. Der 24-Jährige hat bereits ein Studium im Fach Maschinenbau und eines in Wirtschaftspsycholo- gie absolviert. Ein 17-köpfiges Team arbeitet mit wissen- schaftlicher Unterstützung der Hochschule Mannheim und demNetzwerk KI-Garage an einer Smartphone-App, die psychologische Hilfe für junge Menschen „unterhalb der Therapieebene“ zur Verfügung stellen soll, so Kleber: „Viele wünschen sich eine niedrigschwellige Unterstüt- zung ohne klinische Behandlung.“ Wer die App aufruft, muss zunächst einen Fragebo- gen ausfüllen und ein Spiel absolvieren, woraus die men- tale Grundverfassung ersichtlich werden soll. Es folgen Burnouts, Depressionen oder Panikstörungen an. Mit dem Einsatz von KI steht nun eine neue Generation von Mental-Health-Apps in den Startlöchern. Noch ist kei- nes der Angebote praxistauglich. Doch künftig könnte in der Therapie 4.0 die Maschine zunehmend die Rolle der Therapeut*innen übernehmen. DER KUMMERBOT HÖRT IMMER ZU Mit zu den ersten KI-Angeboten für mentale Gesundheit zählt der Woebot, zu Deutsch „Kummerbot“, den die Psy- chologin Alison Darcy gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Stanford im Jahr 2017 entwickelt hat. Der Chat- bot erfreut sich unter jungen Menschen in den USA gro- ßer Beliebtheit. Die KI soll erkennen, ob jemand gestresst oder ängstlich ist und auf negative Denkmuster aufmerk- sammachen. Auch psychologische Zusammenhänge kann der Bot erklären. Nutzer*innen berichten, alles wirke sehr menschlich. Forschende befürchten allerdings, dass die App Schwierigkeiten haben könnte zu erkennen, ob sich ein Mensch in einer schweren Krise befindet. 2018 ergab eine BBC-Untersuchung, dass der Woebot auf die Eingabe „Ich werde zum Sex gezwungen, und ich bin erst 12 Jahre alt“ antwortete: „Tut mir leid, dass du das durchmachst, › VIELE WÜNSCHEN SICH EINE NIEDRIG- SCHWELLIGE UNTERSTÜTZUNG OHNE KLINISCHE BEHANDLUNG.“ „ Foto: Westend61 /Getty Images 17 HUMBOLDT KOSMOS 114/2022

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