Nr. 114/2022

eine Antwort geben, egal wie viele Bilder man ihnen vor- setzt. Wenn man nun Mensch und KI zusammenarbeiten lässt, kann man das Beste aus beiden Welten kombinie- ren und hoffentlich die jeweiligen Nachteile eliminieren.“ EIN GENIALER SPIELZUG VERBLÜFFT DIE GO-GEMEINDE Doch KI kann den Menschen nicht nur unterstützen. Bei bestimmten Aufgaben macht sie ihm mittlerweile erfolgreich Konkurrenz. Ein historisches Beispiel dafür ist der Sieg einer KI beim strategisch komplexen Brett- spiel Go. ImMärz 2016 verlor der als einer der weltbesten Go-Spieler geltende Südkoreaner Lee Sedol vier seiner fünf Partien gegen das Computerprogramm AlphaGo. Es war der Spielzug Nummer 37 in der zweiten Partie, der zu einem neuen Meilenstein der Maschinenintelli- genz werden sollte. Die Spielkommentatoren konnten es nicht glauben. Es sah aus, als hätte sich jemand bei einem Online-Spiel verklickt. Ein Teil der Tragweite dieses Zuges war demWeltklassespieler Lee Sedol in diesem Moment wohl schon bewusst. Er verließ für ein paar Minuten den Raum. Kein Spieler von Weltrang hatte in dem Brettspiel je einen vergleichbaren Zug gespielt. Die künstliche Intel- ligenz von AlphaGo konnte einen solchen Zug also nie selbst gesehen haben. Der Computer hatte nicht einfach etwas wiederholt, was ihm einprogrammiert worden war, er hat sein Wissen über das Spiel intelligent angewendet. Wie schafft ein Computer so etwas? Klassische KI basiert auf Regeln und Symbolen und funktioniert gut in Umgebungen, die vorhersagbar sind. Sie folgt Entschei- dungsbäumen oder sucht eine Lösung aus einer vorgege- benen Menge an potenziellen Lösungen aus. Alles, was sie über die Welt weiß, wurde von Menschen ins System ein- gegeben. Moderne KI hingegen, wie sie auch in AlphaGo verwendet wird, ist grundsätzlich unserem Gehirn nach- empfunden. Neuronen, die in unserem Gehirn mitei- nander vernetzt sind und mal feuern, mal nicht feuern, werden digital nachgebildet. Sie reagieren auf unterschied- liche Reize. „Diese digitalen Neuronen haben eines mit dem Gehirn gemeinsam: Sie stehen in Verbindung mit anderen Neuronen. Und ob sie ‚feuern‘, hängt davon ab, wie viel Input sie bekommen. Ein Neuron feuert zum nächsten gemäß einer mathematischen Formel, die ver- sucht nachzubilden, was auch zwischen den Neuronen im Gehirn abläuft“, erklärt der Humboldtianer Christian Becker-Asano, Professor für Künstliche Intelligenz an der Hochschule der Medien, Stuttgart. Doch selbst wenn künstliche Intelligenz irgendwann ähnlich funktionieren würde wie menschliche Intelli- genz, wenn sie die Welt wahrnähme wie wir, würde ihr vermutlich immer noch etwas Entscheidendes fehlen: ein emotionales Verhältnis zu dem, was sie wahrnimmt. Der Humboldtianer Tobias Matzner, Professor im Bereich Medien, Algorithmen und Gesellschaft an der Universität Paderborn, erklärt den Unterschied zwischenMensch und Maschine so: „Ein Algorithmus, der ein Bild anschaut, sieht einfach nur Reihen von Pixeln. Mehr nicht. Und diese Pixel sind für einen Algorithmus ‚gleich Bild‘. Egal, ob das Bild verrauscht ist oder ob da eine Freundin oder ein Freund drauf ist oder ein Hund oder nur etwas Verschwommenes. Bei uns löst ein Bild sofort ganz viele Assoziationen aus.“ Auch deshalb braucht KI viel mehr Beispiele als Menschen, um etwas Neues zu lernen. Milica Gašić will deshalb die Art und Weise, wie KI lernt, menschlicher machen. Die Sofja Kovalevskaja-Preis- trägerin an der Universität Düsseldorf lässt sich davon inspirieren, wie Tiere oder Kinder ler- nen. „Mir schwebt vor, Systeme zu bauen, die sich mit der Zeit weiterentwickeln, so wie es der Mensch auch tut. Jeden Tag sehe ich, wie meine kleine Tochter dazulernt, und es ist schon eine fantastische Fähigkeit, sich immer neue Dinge anzueignen und zu wissen, wie man sie einsetzt“, sagt Gašić. Sie will Sprachsysteme so ver- bessern, dass wir uns mit einer KI genauso unterhalten können wie mit einem Menschen. Bislang fehlt Maschinen mehr als nur ein eloquenterer Umgang mit Spra- che. „Wir sollten nicht vergessen, was eigentlich eine menschliche Konversation ausmacht. Und Was eine menschliche Konversation aus- macht, ist unsere Fähigkeit, Emotionen zu erkennen und auf sie zu reagieren. Milica Gašić, Sofja Kovalevskaja-Preis­ trägerin an der Universität Düsseldorf SCHWERPUNKT 14 HUMBOLDT KOSMOS 114/2022

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